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In Bewegung – Unsichtbares sichtbar machen

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Dieser Artikel ist auch im Zürioberland Magazin vom 24. Oktober 2025 erschienen.

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Schmerzen sind selten statisch – sie verändern sich je nach Bewegung, Belastung oder Körperhaltung. Klassische Bildgebungsverfahren liefern zwar präzise Momentaufnahmen, erfassen jedoch nicht, wie sich Strukturen im Körper unter realen Bedingungen verhalten. Und genau da setzen Professor Ameet Aiyangar und sein Forschungsteam von der EMPA mit einer zeitaufgelösten 3D-Analyse an und schaffen damit neue Perspektiven für die Schmerzdiagnostik und -therapie.

Gegenüber den zweidimensionalen Röntgenbildern gelten CT (Computertomografie) und MRT (Magnetresonanztomografie) als eine Weiterentwicklung, insbesondere in Bezug auf Diagnosegenauigkeit und räumliche Darstellung. Alle drei Verfahren sind allerdings statisch und erfassen keine Gelenkbewegung.

Da der Gelenkschmerz meist in der Bewegung liegt, sind die Ärzt:innen bei ihrer Diagnosetätigkeit auch heute noch neben der statischen Bildgebung auf die subjektive Einschätzung der Patient:innen angewiesen. Die Schulter als beweglichstes Gelenk ist besonders anfällig für Verletzungen. Patient:innen mit Schulterverletzungen werden nach einer Behandlung oder einem Eingriff häufig erneut vorstellig, weil die ursprüngliche Ursache der Instabilität in den statischen bildgebenden Verfahren sehr oft nicht abschliessend ermittelt werden konte. Diese diagnostische Lücke gilt es zu schliessen.

Eine zusätzliche Dimension
Der Behandlungserfolg hängt ausserdem stark von individuellen Faktoren wie Muskelkraft oder Gelenkführung und Heilungsverlauf ab – Aspekte, die ohne dynamische Diagnostik schwer zu beurteilen sind. Beim Verfahren von Professor Ameet Aiyangar werden die Bewegungen der Schulter mit hochpräzisen Röntgengeräten aus zwei Blickwinkeln gleichzeitig aufgenommen (biplanar). Zusätzlich erstellen die Forschenden mit Hilfe von CT-Bildern ein genaues, virtuelles 3D-Modell der Schulterknochen. Dieses Modell wird mithilfe einer spezialisierten Software Bild für Bild mit den Röntgenaufnahmen abgeglichen – ein Prozess, der als Ko-Registrierung bezeichnet wird, also ein präzises «Matching» der Bilder. So entsteht ein dynamisches 3D-Bild der Schulter in Bewegung – eine sogenannte 4D-Analyse, bei der die Zeit als vierte Dimension hinzukommt. Ergänzend erfassen Infrarotkameras über Marker auf der Haut die äusseren Bewegungen. Die Auswertungen zeigen detailliert, wie sich das Gelenk bei jeder Bewegung verhält.

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Dynamische 3D-Aufnahmen der Schulter entstehen mit einem biplanaren Röntgensystem am sitem-insel in Bern. © sitem-insel, Empa

Forschungszusammenarbeit
Ohne Partner:innen lässt sich ein solches Projekt nicht realisieren. Kooperationspartner der Empa ist das Inselspital Bern, die beiden Forschungsinstitutionen teilen sich die Projektleitung. So steht das hochpräzise biplanare Röntgenbildgebungssystem in den Kellerräumen bei sitem-insel – dem Schweizer Institut für Translationale und Unternehmerische Medizin in Bern. Die Radiologie nimmt dabei mit ihrer klinischen Expertise eine Schlüsselposition ein. Die Patient:innen des durch den Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekts stammen aus der Orthopädie und der Neurochirurgie. ((Nur Website)) Zusätzliche finanzielle Unterstützung kommt vom sitem-insel Support Funds (SISF).

Gezielte Therapie dank präziser Diagnostik
«Der Fortschritt liegt darin, dass wir nun in der Lage sind, selbst kleinste Roll- und Gleitbewegungen, die für die Stabilität entscheidend sind, mit einer Genauigkeit von 0,1 bis 0,5 Millimetern zu erfassen – herkömmliche Systeme arbeiten mit 20 bis 40 Millimetern und sind zu ungenau, um Instabilitäten verlässlich zu erkennen», so Aiyangar. Daraus resultiere eine gezielte, individuell optimierte Therapie, die unnötige chirurgische Eingriffe vermeide, ergänzt der promovierte Maschinenbauer. Das Interesse aus der Praxis ist gross, wie die Anfragen von Kliniken, Ärztinnen und Patienten belegen.

Klinische Phase
«Langfristig hoffen wir, dass unsere vierdimensionale Bewegungsanalyse ihren Weg in die klinische Praxis findet», hält Professor Aiyangar fest. Bis dahin sind allerdings noch einige Etappen zurückzulegen. So steht im Herbst 2025 eine gemeinsame Studie mit dem Inselspital Bern an. Hierfür werden rund 80 Patient:innen mit einer unbehandelten Schulterinstabilität gesucht. Dabei sollen die Proband:innen jeweils vor und nach gezieltem Muskeltraining untersucht werden. Mithilfe individueller muskuloskelettaler Modelle lassen sich dabei die komplexen Wechselwirkungen zwischen Muskeln, Gelenken und Kräften analysieren. Dieser Ansatz ermöglicht es, die Therapie gezielt auf die biomechanischen Eigenschaften der einzelnen Person abzustimmen – ein zentraler Aspekt der personalisierten Medizin.

Haben Sie eine unbehandelte Schulterinstabilität und möchten gerne Näheres über die Studie erfahren, nehmen Sie bitte per E-Mail mit PD Dr. med. Michael Schär Kontakt auf.

PD Dr. med. Michael Schär, Leiter Schulter, Ellbogen und Sportmedizin

Universitätsklinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie
Inselspital
Freiburgstrasse
3010 Bern

orthopaedie@insel.ch